Freuds Genie bestand nicht zuletzt in einer doppelten Ausrichtung der Aufmerksamkeit: er war einerseits ein sinnenbegabter Beobachter noch des winzigsten 'konkreten' Details in den Mitteilungen seiner Analysanden und andererseits ein kühner Theoretiker, der zur Erklärung des Beobachteten ganz neuartige, hochgradig 'abstrakte' Modelle entwarf - die sogenannte »Metapsychologie«, also eine hinter das Bewußtsein führende Theorie des Seelenlebens. In chronologischer Reihenfolge präsentiert der vorliegende Band die zentralen metapsychologischen Schriften, darunter klassische Texte wie 'Zur Einführung des Narzißmus', 'Das Unbewußtes Jenseits des Lustprinzips'.
Alex Holder führt dem Leser in seiner luziden Einleitung vor Augen, wie und warum Freud seine verschiedenen Theoreme (darunter die Triebklassifikation, das Modell des psychischen Apparates, die Auffassung von der Abwehr) zeitlebens immer wieder revidierte, wenn neue Beobachtungen dies erforderten. Ein Beispiel: Freud gab seine erste dualistische Triebtheorie, die den Sexualtrieben die Ich- oder Selbsterhaltungstriebe gegenüberstellte, zugunsten des Antagonis-mus zwischen Lebenstrieben und Todestrieb auf, weil die erste Klassifikation die klinischen Phänomene des Wiederholungszwangs, des Masochismus und Sadismus nicht zu erklären vermochte. Wie aktuell das Konzept des Todestriebs ist, wird deutlich, wenn man sich die immer bedrohlichere Tendenz der Menschen vergegenwärtigt, die eigenen natürlichen Lebensgrundlagen vollends zu zerstören.
Die programmatische Schrift Das Ich und das Es setzte die Gedankengänge
von Jenseits des Lustprinzips fort. Freud will nun seine bisherige Modellvorstellung
vom >>psychischen Apparat<< verändern, wie er ihn im Schlusskapitel der
Traumdeutung entworfen hatte. Dieser ist aus drei Systemen oder >>Instanzen<<
aufgebaut: >>Unbewusst<<, >>Vorbewusst<< und >>Bewusst<<. Zwischen den
Systemen >>Unbewusst<< (dem >>Verdrängten<<) und >>Vorbewusst<< nimmt Freud
eine >>Zensur<< an, die den unbewussten Inhalten und Vorgängen nicht erlaubt,
ohne vorherige Umwandlung im Sinne einer >>Kompromissbildung<< ins Vorbewusste
zu gelangen. Die vorbewussten Regungen und Inhalte sind zwar nicht aktuell
bewusst, jedoch ohne weitere Umwandlungen dem Bewusstsein zugänglich. Diese
Theorie wird auch als die >>erste Topik<< bezeichnet. Freud argumentiert
hier aus der Perspektive des Unbewussten (Verdrängten), das er zugleich
als kreative seelische Macht anerkennt. Die >>zweite Topik<< unterscheidet
die Instanzen >>Ich<<, >>Es<< und >>Über-Ich<<. Durch die Erkenntnis unbewusster
Abwehrmechanismen im Dienste der Gesamtpersönlichkeit rückt nun das >>Ich<<
ins Zentrum der Betrachtung. Das >>Es<< ist Reservoir der Triebe, der angeborenen
wie der verdrängten, die mit >>Ich<< und >>Über-Ich<< in Konflikt treten.
Diese haben sich ihrerseits entwicklungsgeschichtlich aus dem >>Es<< heraus
entwickelt. Das >>Über-Ich<< ist die Instanz des Gewissens, die vor allem
durch Verinnerlichung elterlicher Gebote und Verbote entsteht und Triebverzicht
fordert. Das >>Ich<< als Vermittlungsinstanz ist von drei Seiten bedroht:
>>Von der Außenwelt her, von der Libido des 'Es' und von der Strenge des
'Über-Ichs'<<. Die Zielsetzung der psychoanalytischen Therapie ist dementsprechend
auf eine Stärkung des >>Ich<< ausgerichtet: Der Neurotiker soll autonom
werden und sich von psychischen Zwängen befreien, unter denen sein >>Ich<<
leidet.