Anders als in Frankreich oder England, wo der Erste Weltkrieg die entscheidende Zäsur für die zivilgesellschaftliche Transformation darstellt, ist es in Deutschland der Zweite Weltkrieg, der zu einem grundlegenden Struktur- und Mentalitätswandel führt. Erst an seinem Ende bricht die deutsche Gesellschaft mit den Mobilisierungssystemen des Heroismus und Bellizismus und durch seinen Ausgang beginnt erst die deutsche Gesellschaft, jenes Selbstverständnis zu entwickeln, das uneingeschränkt auf Zivilität, Integration und Kooperation ausgerichtet ist.
Die vorliegende Untersuchung rekonstruiert, wie es der von Kriegs- und Gewalterfahrungen geprägten deutschen Gesellschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelingt, diese Erfahrungen zu verarbeiten. Das Ende des Zweiten Weltkriegs ist kein statisch fixierter Wendepunkt in der Geschichte des modernen Deutschlands, sondern eine eigenständige Übergangsphase, in der die deutsche Gesellschaft sich sukzessiv von den Erfahrungen des Krieges löst und ihr ziviles Selbstverständnis zu entwickeln beginnt.
Methodisch-konzeptionell operiert die Untersuchung mit einem erweiterten Erfahrungsverständnis, das darin nicht nur das Abbild subjektiver Wirklichkeit sieht, sondern Erfahrung als eine Wissenskategorie behandelt, die sich in Abhängigkeit zu ihrer soziokulturellen Umgebung auch ändern oder anpassen kann. Mit diesem erfahrungstheoretischen Zugriff gelingt es dem Autor aufzuzeigen, dass die Kriegs- und Gewalterfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg weniger verdrängt als vielmehr diskursiv neu gerahmt und auf diesem Weg bewältigt wurden. Das für die kriegsgesellschaftliche Moderne charakteristische Bild von der sakrifiziellen Aufopferung verschwindet hierbei, während sich ein viktimes Sinnsystem zu entwickeln beginnt. Letzteres ermöglicht die narrative Bewältigung der Kriegsgewalt, entzieht dem Krieg aber ebenso die kulturelle Grundlage.